Iran geht das Wasser aus

Studie

Seen und Flüsse im Iran drohen auszutrocknen. Eine neue Studie der Heinrich-Böll-Stiftung skizziert die Umweltkrise und analysiert Ursachen, Auswirkungen und Handlungsstrategien.

Satelittenaufnahe des Urmia Sees
Teaser Bild Untertitel
Der Urmia See wird immer kleiner - seine Ausdehnung beträgt nur noch 12 Prozent seine maximalen Größe in den 1970er Jahren

Der Iran ist mit massiven Umweltproblemen konfrontiert. Die akute Wasserknappheit droht weite Landstriche in Zukunft unbewohnbar zu machen. Der Grundwasserspiegel sinkt stetig ab, große Flüsse und Seen trocknen aus. Der größte See im Nahen Osten, der Urmia See im Nordwesten Irans, ist in den letzten Jahren um gut 12 Prozent geschrumpft – dieser Rückgang entspricht in etwa der Fläche des Bodensees.

Die neue Studie „Paradise Lost? Developing Solutions to Irans Environmental Crisis“ der Heinrich-Böll-Stiftung und der Small Media Foundation widmet sich der iranischen Umweltkrise und analysiert Ursachen, Auswirkungen und Handlungsstrategien – insbesondere von zivilgesellschaftlichen Akteuren. Mithilfe von Sekundärdaten, Umfragen und Interviews mit iranischen Entscheidungsträger/innen, Aktivist/innen und Expert/innen zeichnet die Studie das Ausmaß der menschgemachten Umweltprobleme des Landes nach.

Die Wasserknappheit ist menschengemacht

Hauptursache der aktuellen Wasserknappheit ist die jahrelang weitgehend ungesteuerte Ausbeutung der Grundwasservorräte, vor allem durch die Landwirtschaft. Gut 90 Prozent des nationalen Wasserverbrauchs entfällt auf diesen Sektor. Die zuständigen Behörden begünstigten die extensive Wassernutzung in der Landwirtschaft ihrerseits durch Subventionen für Farmer auf Energie und Wasser und duldeten illegale Brunnenbohrungen. Die Effizienz der Bewässerungstechnik ist entsprechend gering. Ironischer Weise sind es nun genau die Landwirte, und unter ihnen insbesondere arme Kleinbauern, die am stärksten unter der Wasserknappheit leiden.

Mittlerweile hat die iranische Regierung das Ausmaß des Problems erkannt. Es fehlt aber dennoch an adäquaten Strategien, um die Wasserknappheit in den Griff zu bekommen. Das liegt einerseits an den unklaren Zuständigkeiten und Befugnissen der befassten iranischen Behörden, also dem Landwirtschaftsministerium, dem Energie- und Wasserministerium und der Umweltbehörde. Andererseits stellt sich die grundsätzliche Frage, bis zu welchem Grad das Problem alleine durch Maßnahmen der Effizienzsteigerung gelöst werden kann. Experten gehen davon aus, dass eine nachhaltige Lösung der Wasserknappheit nur durch eine drastische Reduzierung des Wasserkonsums – also einer Reduzierung der landwirtschaftlichen Produktion – möglich sein wird. Dies wäre allerdings eine äußert unpopuläre Maßnahme, gerade im ländlichen Raum, wo die Existenz vieler Kleinbauern bedroht wäre.

Die Umweltkrise rückt zunehmend in den Fokus

Gleichzeitig zeigen die Meinungsumfragen der Studie, dass das Bewusstsein für Umweltprobleme in der Bevölkerung in den letzten Jahren stark zu genommen hat. Knapp 70 Prozent geben an, dass sie besorgt sind über den schlechten Zustand der Umwelt im Iran. Während sich 2004 noch eine deutliche Mehrheit für eine Priorisierung von wirtschaftlichen Herausforderungen gegenüber Umweltfragen ausgesprochen hat, bewertet die Mehrheit heute die Themenbereiche Wirtschaft und Umwelt als gleich wichtig.

Das große Interesse an umweltpolitischen Themen spiegelt sich auch in den zahlreichen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Kampagnen wider, die sich zumeist online für einen verantwortungsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen einsetzen. Über Facebook, Telegram und Instagram starten Aktivistinnen und Aktivisten Kampagnen gegen Luftverschmutzung, Abholzung und Artensterben, und natürlich auch gegen die Ausbeutung der Grundwasservorräte. Sie erreichen damit regelmäßig mehrere zehntausend Menschen im Iran. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Online-Kampagne „A Drop of Water“, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Bevölkerung über die nationale Wasserkrise aufzuklären und für die Folgen zu sensibilisieren. Hierfür nutzen die Macher u.a. Infographiken, Fotos und kurze Texte. Für Aktivist/innen ohne institutionelle Anbindung bietet die Webseite Flyer und Poster zum selber ausdrucken und aktiv werden an.

Wie bei den meisten der anderen Online-Kampagnen bleibt allerdings (bewusst) unklar, wer genau dahintersteht. Hierdurch schützen sich die Initiatoren der jeweiligen Kampagnen vor potentiellen Repressionen. Die Anonymität der dahinterstehenden Personen und Organisationen erschwert es aber die Mobilisierung für umweltpolitische Themen aus der Online- in die Offline-Sphäre, also auf die Straße, zu überführen. Gleichwohl sind die Aktivistinnen und Aktivisten von „A Drop of Water“ und anderen Kampagnen erstaunlich wirkmächtig. Zeitungen berichteten darüber und Prominente setzen sich öffentlich für das Anliegen der Kampagne ein. Angesichts dieser Popularität von Umweltthemen nehmen sich auch mehr und mehr iranische Politiker des Themas an. Im Parlamentswahlkampf 2016 spielten Umweltthemen eine erstaunlich prominente Rolle.

Alle Akteure benötigen mehr Expertise

Um den Grundwasserspiegel zu stabilisieren und den Urmia See und andere Binnengewässer besser zu schützen, empfiehlt die Studie u.a. eine Stärkung der nationalen Umweltbehörde und eine engere Zusammenarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Zudem attestieren die Autor/innen sowohl den staatlichen Behörden als auch den zivilgesellschaftlichen Initiativen einen hohen Bedarf an weiterer Fachexpertise im Umweltbereich.

 

Paradise lost? Developing solutions to Irans environmental crisis
Die ausführliche Studie können Sie (in englischer Sprache) hier herunterladen.